Hat die Corona-Krise auch ihre guten Seiten?
Manche Dinge, die man zu Anfang kaum ernst nimmt, werden zu Dingen, die unser ganzes Leben verändern können. So geschehen mit dem Corona-Virus. Quasi über Nacht wurden wir von Beobachtern der chinesischen Situation zu Hauptdarstellern in einer weltweiten Pandemie. Es gibt keinen, der nicht auf die eine oder andere Weise betroffen ist.
Aber so dramatisch sich vielerorts die Situation darstellt, so sehr sehnt man sich auch nach positiven Nachrichten.
Wir wollen Ihnen einige davon vorstellen und Ihnen aufzeigen, dass Krisen auch immer eine Chance darstellen. Denn in Krisenzeiten entdecken viele von uns neue, positive Eigenschaften und vergessene Fähigkeiten.
Agilität
Viele Unternehmen haben eine völlig neue Form der Dynamik entwickelt und sind so agil wie noch nie zuvor. Entscheidungsprozesse werden erheblich abgekürzt und wo «Home-Office» lange kein Thema war, hat man binnen Tagen ein System geschaffen, das sonst vielleicht Jahre gebraucht hätte. So gehören stundenlange Meetings der Vergangenheit an und werden auf kurze, zielorientierte Gespräche in Online-Sessions reduziert.
Viele von uns werden noch überrascht sein, wenn sie sehen, wie sehr sich Tele- und Videokonferenzen in Zukunft in den Geschäftsalltag einbürgern werden. Viele haben sich gesträubt, jetzt sind sie beliebter denn je.
In der Folge werden wohl auch Geschäftsflüge auf das notwendigste Mass reduziert und das Arbeiten schneller und effektiver werden.
Das Bildungswesen hat sich ebenfalls über Nacht geändert und das Zauberwort «Internet-Teaching» wird vermutlich unser Bildungssystem nachhaltig verändern.
Diese Krise lehrt uns auch einen neuen Umgang mit der knappen Ressource «Zeit». Wir lernen zu improvisieren und zu jonglieren und zwar so lange, bis es klappt. Job und Kinderbetreuung, ohne externe Kita-Betreuung, unter einen Hut bekommen? Für viele vor der Krise unmöglich – jetzt machbar, wenn alle Hand in Hand arbeiten (die natürlich gewaschen sind). Es scheint zu funktionieren, weil es funktionieren muss.
Not macht erfinderisch
Aber bei all den positiven Tatsachen darf man eins nicht vergessen: Diese Krise trifft viele Branchen hart. Die Umsätze sind erdrutschartig zusammengebrochen oder gleich ganz weggefallen. Und hinter all diesen Zahlen stecken auch menschliche Schicksale. Da stösst selbst der beste Optimismus an seine Grenzen.
Es gibt naturgemäss – wie bei jeder Krise – auch Gewinner derselben. Ganz weit vorne in diesem Ranking sind zum Beispiel diverse Online-Shops. Manche von denen generieren Umsatzzahlen, die man weder zur Weihnachtszeit noch zum Black Friday erreichen konnte.
Wo es Gewinner gibt, sind Verlierer meist nicht fern. Nur, wer seinen Kopf in den Sand steckt, der hat dann auch meist verloren. Und so kommt es, dass viele die Zähne zusammenbeissen, den Grips anstrengen und aus der Not das Beste rausholen. Mit tollen Erfolgen!
Hier einige schöne Beispiele:
Der Klassiker in der Gastronomie: Wo vor der Krise noch eng an eng fröhlich Gäste bewirtet wurden, herrscht jetzt gähnende Leere aber keine Stille. In Windeseile haben viele Gastronomen «Take-away» und Lieferdienste für sich entdeckt.
Ebenfalls ein schönes Beispiel: Unsere Bäckerei und Metzgerei im Ort fotografiert zum Beispiel jeden Morgen die Auslage in der Theke und die Ware kann online bestellt werden und wird kostenlos nach Hause geliefert. Sicher kein kompletter Ersatz für den Tagesumsatz vor der Krise, aber weiterhin eine Einnahmequelle, welche die Unternehmen hoffentlich vor dem Konkurs rettet.
Hotels werden zu Home-Offices: Klingt komisch, ist aber so. Denn wie gesagt: Not macht erfinderisch. Schnell hat man bei den besonders unter der Krise leidenden Hotels erkannt, dass auch andere leiden. Oder anders: Das andere Ruhe brauchen. So wird aus dem einfachen Hotelzimmer das «Büro» für die, die Zuhause nicht die Ruhe zur Arbeit finden. Auch hier steht nicht im Vordergrund ein neues Geschäftsfeld entdeckt zu haben, sondern das Unternehmen zu retten. Und es funktioniert. Ein anderes Luxushotel hatte die Idee ein Quarantäne-Zimmer inkl. Covid19-Tests anzubieten. Kostenpunkt: mehrere Tausend CHF pro Tag. Und tatsächlich: Die Nachfrage ist da.
Läden werden umgenutzt: Wo manche Läden aus Schutzgründen nicht mehr geöffnet werden können, wird die Ladenfläche trotzdem weiter genutzt und kurzerhand zur Verkaufsfläche für den lokalen Bauern umfunktioniert. So kommen regionale und frische Produkte direkt zu den Kunden.
Das Produktportfolio wird angepasst: Wo der Bedarf bspw. nach Unterwäsche sinkt, wird kurzerhand die Produktion umgestellt und das produziert, was sich gerade grosser Nachfrage erfreut: Mund-Nasen-Bedeckungen.
Ein anderes Beispiel: Dem Veranstaltungstechniker, dem von heute auf morgen alle Aufträge weggebrochen sind, der stellt seine LKW-Flotte in den Dienst der Logistik und bringt nun Toilettenpapier dahin, wo Hamsterer zugeschlagen haben.
Drive-In für Setzlinge: Der Frühling schlägt aus und mit ihm beginnt die Arbeit im Garten. Eigentlich die perfekte Zeit, seinen Garten auf Vordermann zu bringen. Nur ungeschickt, dass bisher kein Gartencenter offen haben durfte. Eine Gärtnerei kam in der Zeit auf die schlaue Idee und richtet einen Drive-In zum Erwerb von Setzlingen ein. Klasse Idee!
Online-Shops werden aufgeschaltet: Was in einigen Branchen ein müdes Grinsen hervorgerufen hat oder als nicht notwendig angesehen wurde, verzeichnet dieser Tage höchste Umsätze. Kein Wunder: Sind nun in unglaublich kurzer Zeit viele Online-Shops entstanden, die es sonst so nie gegeben hätte. Es wird spannend sein, wie es sich mit diesen neuen Standbeinen nach der Krise verhalten wird.
Gratis-Content: Einige zur Zeit «arbeitslose» Profiköche bieten aktuell online Kochtipps kostenlos an und bringen so Vielfalt dorthin, wo sonst wohl nur Spaghetti gekocht würden. Der grösste Kochbuchverlag der Schweiz hat sogar seinen gesamten Rezepteschatz über das Internet verfügbar gemacht, damit jeder in der Krisenzeit davon profitieren kann. Die Chance, dass man sich positiv an diese netten Gesten erinnert und später auch zum zahlenden Kunden wird, ist gross.
Dies sind nur einige von sehr vielen, schönen Beispielen, die zeigen, was alles aus der Not heraus entstehen kann. Man merkt, der menschliche Erfindungsgeist wird aktuell gefordert, Menschen rücken näher zusammen (ohne den Mindestabstand zu gefährden). Die Krise pusht Kreativität und Ideen retten Unternehmen. Diese DNA ist in guten Zeiten leider bei vielen Unternehmen verloren gegangen und erlebt aktuell eine Renaissance. Darüber darf man sich freuen.
Solidarität
Not macht nicht nur erfinderisch, sie schweisst auch zusammen. «Solidarität» ist nicht mehr länger für viele einfach nur eine Worthülse, sondern gelebter Alltag. Profisportler, Studenten und viele Freiwillige – vom Schüler bis zum netten Nachbarn nebenan – helfen wo es geht. Sie erledigen die Einkäufe und andere Besorgungen für die, die zu den Risikogruppen gehören und man ist füreinander da.
Ebenfalls ein schönes Beispiel: Der grösste Blumenhändler der Schweiz, eigentlich seines Zeichens Grosshändler und Lieferant für all die Blumenläden unseres Landes, hat in den sozialen Medien einen Aufruf gestartet, der auf riesige Begeisterung traf. Die Community wurde gebeten, für Orchideen zu spenden, die dann in die vielen Altersheime versandt wurden. Dem folgten so viele, dass die 30 Mitarbeiter des Unternehmens diese Krise überstehen werden. Und das Tolle an der Aktion: die Altersheimbewohner merken in der schweren Zeit, dass die Gesellschaft auch an sie denkt.
Wertschätzung
Ein weiterer Aspekt der Coronakrise ist auch, dass Berufe, die sonst ein eher stiefmütterliches Dasein in der Wahrnehmung der Bevölkerung fristen, auf einmal in den Fokus gebracht wurden und den Respekt bekommen, der ihnen schon immer zustand.
Nicht nur die Damen und Herren in den Supermärkten, sondern auch und vor allem die Mitarbeiter in unseren Krankenhäusern – ja, in den Krankenhäusern weltweit – erfahren Zustimmung weit über das gewöhnliche Mass hinaus. Wir alle sind Zeuge, unter welchen Bedingungen Leben gerettet werden und mit welchem unbeschreiblichen Engagement dies geschieht.
Und so setzt sich der Respekt fort. Postangestellte, Pflegepersonal auch ausserhalb der Krankenhäuser, Kassierer und Kassiererinnen, LKW-Fahrer, Logistikmitarbeiter – all diese Berufe, die unser Land zusammenhalten, die man nun anerkennt als «systemrelevant».
Wir können uns nur anschliessen. Danke! Ihr seid Helden, so viel ist mal sicher!
Der soziale Kontakt wird wieder mehr geschätzt
Manchmal muss man erst auf etwas verzichten müssen, um zu erkennen, wie wichtig es für einen ist. Dazu gehören zweifelsohne die sozialen Kontakte. War es vor der Krise das knappe «Grüezi» und «Hallo», entstehen heute intensive Gespräche über den Gartenzaun hinweg. Und das erste Thema kennt auch jeder …
Wir erkennen: Wir sitzen alle in einem Boot und gemeinsam findet man den Weg aus der Krise.
In einem sind wir uns jedenfalls ziemlich sicher: Nach der Krise werden viele von all den vielfältigen Kommunikationskanälen wieder runterfahren, das Laptop zuklappen, das Handy auslassen und den Desktoprechner einfach Rechner sein lassen und sich nach echten Gesprächen sehnen, die von angenehmen Belanglosigkeiten geprägt sein werden. Auch das ist ein hohes Gut. Denn Aufregung hatten wir dann sicher alle genug.
Slow down, take it easy
«Gehen wir spazieren?» Eine Frage, die auf manchen Couchpotato auf Unverständnis stiess, wird heute als Aufforderung dankbar aufgenommen. Ruhe kehrt ein, man lässt wieder Dinge auf sich wirken, die man sonst links liegen liess. Beispielsweise das gute Buch mit nur 634 Seiten.
Junge Leute tippen nicht mehr nur auf Instagram und Co., sondern entdecken die Literatur für sich. Die Geistestöter wie manche Reality Shows wirken auf uns, wie aus einer anderen Welt und haben ihren Reiz (vorerst) verloren. Vielleicht – mit etwas Glück – werden wir uns einige der guten Seiten aus dieser Zwangspause mit in die sicher bald wieder einkehrende Normalität hinüberretten können.
System reset!
Jede Krise hat ihr Schlüsselbild. So ist für uns sicher eine der stärksten emotionalen Bilder das gewesen, als wir die musizierenden und singenden Italiener auf ihren Balkonen sehen und hören konnten. Menschen, die sich auch in dunklen Tagen die Menschlichkeit und die Freude am Leben nicht nehmen lassen.
Aber auch manche Satellitenbilder sind beeindruckend. Zu sehen, wie sich der Smog legt und Städte zu sehen sind, die sonst im Grauschleier der Industrie verborgen waren; sie lassen Hoffnung aufkommen.
Und wenn es uns zum Schluss gestattet ist, ein wenig zu philosophieren: Vielleicht könnte man diese Pandemie auch als Zeichen nehmen? Als Zeichen, das uns daran erinnern soll, uns mehr auf unsere guten Seiten, unsere Menschlichkeit zu erinnern statt immer schneller sein zu wollen, statt immer mehr haben zu wollen? Wer weiss? Möglicherweise nicht die schlechteste Sicht auf die Dinge, wenn daraus was Gutes erwächst.
So sind wir uns ziemlich sicher: All das wird etwas mit uns machen. Wir hoffen, etwas Gutes. System reset? Cool down? Musik auf den Balkonen? Mal schauen, was davon wir in die Zukunft mitnehmen.